Yoruba: Götter, Kultbünde und Orakel

Yoruba: Götter, Kultbünde und Orakel
Yoruba: Götter, Kultbünde und Orakel
 
Die Yoruba gelten als eines der kunstsinnigsten Völker der Erde. Außer in der Malerei haben sie über ein Jahrtausend in allen Kunstbereichen brillante Werke geschaffen. Und selbst in der modernen Kunst Afrikas spielen die Yoruba noch immer eine Vorreiterrolle. Man denke etwa an die Kunstschule von Oshogbo und an ihren Vertreter Twins Seven Seven.
 
Wie viele Völker der Erde gehen auch die Yoruba von einem Urelternpaar aus. Der oberste Gott Olorun wird mit dem Himmel identifiziert; sein weibliches Gegenüber ist Onilé, die Erdmutter. Der Himmel wird von Olorun und den himmlischen Gottheiten, den »Orishas«, bewohnt. Sie repräsentieren die verschiedenen Aspekte von Oloruns Macht. Die Erde und die Urwasser werden neben der Erdmutter Onilé noch von den Erdgeistern, den »Onile«, bewohnt. Die himmlischen Bewohner, die »Orishas«, betrachtet man als männliche, die Erdgeister, die »Onile«, als weibliche Wesen.
 
Olorun selbst erhält keine Opfer. Die Erdmutter Onilé dagegen wird in zahlreichen Kulten verehrt, so als Göttin des Wassers, als Große Mutter und als Oberhaupt der Hexen. Die Zweiteilung des Kosmos in männlich - weiblich, Himmel - Erde, oben - unten, Licht - Dunkel und so weiter bedeutet bei den Yoruba nicht Opposition, sondern Ergänzung. Es gibt zahlreiche Beispiele des Übergangs von der einen Welt in die andere. Als Symboltier des Übergangs kann der Wels oder Schlammfisch gelten, der auch in der Bronzekunst von Benin eine Rolle spielt. Er lebt in einem Gemisch aus Erde und Wasser, kann sich aber gleichzeitig über das trockene Land bewegen und im Schlamm Trockenzeiten überstehen. Wenn der Regen kommt, erlebt er gleichsam eine Auferstehung. In dieser Hinsicht ist er auch das Symboltier der Ahnen: Sie überleben im Jenseits. Diese Zweiteilung in der Weltanschauung der Yoruba taucht als Grundidee auch bei vielen anderen Völkern Afrikas auf.
 
Eine Mythe erzählt, dass Olorun seinen Sohn Odudua auf die Welt gesandt hat, doch es gab noch nichts als schlammiges Wasser. So brachte Odudua Sand aus dem Himmel mit. Damit schuf er den ersten Hügel, auf dem die heilige Stadt der Yoruba, Ife, erbaut ist. Alle Yoruba-Könige leiten nicht nur ihre Macht von Ife, sondern auch ihre Abstammung von Odudua her.
 
Ein besonderes Merkmal des sozio-religiösen Lebens der Yoruba ist ihr Bund- und Orakelwesen. Das Ifa-Orakel der Yoruba gehört zu den bekanntesten Verfahren in Afrika, um verborgenes Wissen zu erlangen. Die runden oder ovalen, teils auch rechteckigen Ifa-Orakelbretter zeigen das Gesicht des Trickster-Gottes Eshu, eines Gottes, der viele Charaktere - vom Kulturheros bis zum Possenreißer - aufweisen kann. Der Gott des Orakels heißt jedoch Orunmila, bisweilen auch Ifa genannt. Eshu, der Trickster, bringt Undordnung in die Welt, Orunmila die Ordnung und den Kompromiss. Zum Ifa-Orakel gehört eine Schale mit 16 Palmnüssen, mit denen der »Babalawo«, der Orakelpriester, verschiedene Kombinationen durch mehrere Würfe ermittelt und diese als Strichzeichnung auf ein bemehltes Brett überträgt. Die Kombination der Striche entspricht schließlich einem der über 3000 Orakelsprüche.
 
In den traditionellen Königreichen Südwestnigerias gab es drei Machtfaktoren: den König, die Gruppe der Beamten mit dem »Basarun«, der mithilfe des Ifa-Orakels die Regierungszeit des Königs bestimmte, und den Ogboni-Bund. Da auf jeden Geheimnisverrat dieses Bundes die Todesstrafe steht, weiß man auch heute noch recht wenig über seine Geheimlehre. Ältere ethnologische Studien gehen davon aus, dass die Verehrung der Fruchtbarkeit der Mutter Erde Onilé eines der wesentlichen Geheimnisse des Ogboni-Bundes sei. Aus ihr komme alles Leben, und in ihren Schoß kehren die Verstorbenen wieder zurück. Neuere Forschungen zeigen jedoch, dass mit Onilé beim Ogboni-Bund auch die Gründer eines Stadtstaates gemeint sein können, da der gleiche Name, mit einer anderen Betonung ausgesprochen, die Bedeutung »Urahn, Gründer des Staates« erhalten kann. Der Bund würde danach seine Aufgabe darin sehen, Verantwortung für die Yoruba-Gemeinschaft zu tragen, indem er Vergehen bestraft und Recht und Ordnung aufrechterhält. In diesem Geheimbund werden zahlreiche Kultobjekte aus Messing wie etwa Armreifen, Glocken, Stäbe und freistehende Figurengruppen verwendet. Die wichtigste Gruppe besteht aus den Edan-Ogboni-Figuren, das sind etwa 20 bis 30 cm große menschengestaltige Messingfiguren — jeweils ein Mann und eine Frau. Die beiden nackten Figuren sind meist mit einer Kette am Kopf verbunden. Wenn der Novize in den Bund aufgenommen wird, nimmt er sie in die Hand und schwört, dass er kein Detail der Geheimlehre verraten wird.
 
Neben dem Ogboni-Bund sind bei den Yoruba noch einige vor allem durch ihre Masken bekannten Bünde vertreten, wie beispielsweise der Engungun-Bund, der im ganzen Yoruba-Gebiet vorkommt, der Epa-Bund mit seinen charakteristischen großen Masken, der vor allem in Ekiti, im Nordosten des Yoruba-Siedlungsgebietes, beheimatet ist, und der Gelede-Bund, den man besonders im Südwesten, aber auch im Nordosten antrifft. Der Engungun-Bund tritt mit seinen Masken in der Regel bei Begräbnisfeierlichkeiten und beim Ahnenkult in Aktion. Die Masken können aber auch bei Gerichtsverhandlungen auftreten, wenn die Vergehen sich gegen das Gemeinschaftsleben richteten. Sie sind oft mit geometrischen Mustern verziert. Manchmal werden sie auch mit Hasenohren oder einer Sanduhr ausgestattet.
 
Zum Epa- oder Elefan-Bund gehört eine ganze Serie von Masken. Die mit ihnen veranstalteten Maskentänze feiern die Fruchtbarkeit des Bodens, den Wohlstand und das Gemeinschaftsleben. Am Ende der Auftritte erscheint meist eine weibliche Maske. Sie steht für die Vorstellung, dass die Gesellschaft von der Frau zusammengehalten wird; in ihrem Schoß sollen die Kräfte und die Zukunft der Gesellschaft eingeschlossen sein. Die Idee, dass weibliche und männliche Aspekte in Religion und Gesellschaft ausbalanciert werden müssen, durchzieht wie ein roter Faden die gesamte Kultur der Yoruba. Noch stärker kommt dies im Gelede-Geheimbund zum Ausdruck. Er erscheint nach außen als männlicher Bund, denn alle Maskentänzer sind Männer. Doch die Vorsteher dieses Bundes sind ältere Frauen. Nur sie kennen das Geheimnis von Gelede. Die Männer sagen, sie seien nur die Sklaven der Frauen, sie müssten tun, was die Frauen von ihnen verlangten. Die Gelede-Tänze sind in erster Linie gegen die Macht der »Hexen« gerichtet und werden oft zur Wahrung und Erlangung von Fruchtbarkeit aufgeführt. Meistens werden die Gelede-Festlichkeiten zu Ehren der Göttin Odua abgehalten: Sie wird als jenes göttliche Wesen bezeichnet, das »Blut in Kinder verwandelt«.
 
Die wahrscheinlich bekanntesten Kunsterzeugnisse der Yoruba sind die Ibeji-Figürchen für den Zwillingskult. Die Yoruba haben die höchste Zwillingsrate der Welt — 45 Zwillinge auf 1000 Geburten. Für einen verstorbenen Zwilling lässt man eine Figur schnitzen und behandelt sie wie einen Lebenden. Man trägt sie zum Beispiel herum und füttert sie. Die Figuren sind weit über das Yoruba-Gebiet hinaus verbreitet und weisen eine große Palette regionaler Stilunterschiede auf.
 
Nicht weniger berühmt sind die Opferaltäre. Sier werden oft aus einem einzigen Baumstamm geschnitzt und zeigen eine kniende Frau mit einer Opferschale auf dem Kopf oder vor der Brust, meist mit einem Kleinkind auf dem Rücken und von kleineren Figuren umgeben. Zu den auffallenden Kunsterzeugnissen gehören auch die prächtigen Verandapfosten, die bis heute die Residenzen von großen Häuptlingen oder Königen schmücken. Nicht selten wird der Auftraggeber zu Pferd dargestellt; oft sind auch seine Frauen und Kinder zu sehen.
 
Prof. Dr. Josef Franz Thiel
 
 
Benin. Kunst einer afrikanischen Königskultur. Die Benin-Sammlung des Museums für Völkerkunde Wien, bearbeitet von Armand Duchâteau. Neuausgabe München u. a. 1995.
 Broszinsky-Schwabe, Edith: Kultur in Schwarzafrika. Geschichte — Tradition — UmbruchIdentität. Köln 1988.
 Kramer, Fritz W.: Der rote Fes. Über Besessenheit und Kunst in Afrika. Frankfurt am Main 1987.

Universal-Lexikon. 2012.

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